Zur sprachlichen Assimilierung bei den slowakischen Kroaten

04.06.2010

Nikolaus Wilhelm-Stempin M.A. (München), 26.09.2004.


Ausgehend von einem einstmals sehr kompakten kroatischen Siedlungsgebiet, das einen großen Teil der westlichen Slowakei umfasste, können heute nach einem langen Assimilierungsprozess von einstmals mehr als 50 Siedlungen mit kroatischer Bevölkerung nur mehr vier Orte als kroatisch gelten: In der nördlich von Pressburg gelegenen Záhorie befindet sich das alte Dorf Devínska Nová Ves (Devinsko Novo Selo), in der Region südlich der Kleinen Karpaten Chorvátsky Grob (Hrvatski Grob), und am südlichen Donauufer die beiden Siedlungen Jarovce (Hrvatski Jandrof) und Čunovo (Čunovo). Einige wenige Familien lebten noch in den Achzigerjahren des 20. Jahrhunderts in Dúbravka (Dubrava). Wir finden in der Slowakei folglich nur mehr Restbestände kroatischen Lebens vor. In sich ist diese kleine Minderheit wiederum keineswegs homogen: Während sich die Kroaten von Hrvatski Jandrof und Čunovo als Burgenlandkroaten verstehen, bevorzugen die Kroaten jenseits der Donau die Benennung „Slowakische Kroaten“. In Hrvatski Grob bezeichnen sich die Kroaten als „Horvatani“. Auch sprachlich unterscheiden sich die slowakischen Kroaten voneinander. Aufgrund ihrer geographischen und historischen Zersplitterung leben sie in verschiedenen Dialektzonen.

In den meisten Dörfern der Slowakei erlitt das Kroatentum bereits ab dem 17. Jahrhundert erhebliche Bodenverluste, eine Tendenz, die auch im benachbarten Österreich und in Ungarn zu beobachten ist. Dennoch vollzog sich die Assimilierung der Kroaten in der Slowakei gründlicher als andernorts. Folgende Ursachen lassen sich für diese Entwicklung feststellen:

1. Die Burgenlandkroaten leben in allen Staaten (Österreich, Ungarn, Slowakei) in einer mehrsprachigen Umgebung. Der daraus resultierende Sprachwandel ist ein langer, aber gesetzmäßiger Prozess. Während das Deutsche und das Ungarische anderen Sprachfamilien angehören, finden wir in der Slowakei die Koexistenz zweier slawischer Sprachen vor: der kroatischen und der slowakischen. Aufgrund der sprachlichen Nähe beider Idiome wird der Sprachwandel bei den Kroaten in der Slowakei beschleunigt /1/. Dass der Assimilierungsdruck in der slowakischsprachigen Umgebung größer war als andernorts, zeigt sich besonders in der nördlich der Donau gelegenen Záhorie. Hier lebten die Kroaten von Anbeginn in einem gemischt slowakisch-kroatischen Siedlungsgebiet. Daher ist der Bilinguismus hier bereits seit dem 16./17. Jahrhundert belegt /2/. Im Gegensatz zu anderen (burgenland-) kroatischen Regionen, in denen bis vor kurzem vereinzelte Einwohner lebten, die ausschließlich Kroatisch sprachen, gibt es in der gesamten Záhorie seit langem keine einsprachigen Kroaten mehr /3/.

Die verbliebenen beiden Kroatensiedlungen Devinsko Novo Selo und Hrvatski Grob sind geographisch voneinander isoliert und weiterhin einem starken Assimilierungsdruck unterworfen. Hrvatski Jandrof und Čunovo dagegen liegen an der Schnittstelle zwischen dem deutschen und dem ungarischen Sprachraum (das Slowakische konnte dort erst später Fuß fassen), so dass sich in dieser fremdsprachigen Umgebung das kroatische Element besser behaupten konnte. Die Tatsache, dass ältere Kroaten hier zum Teil viersprachig sind, hat darauf keine Auswirkungen. Erst die jüngeren Generationen unterliegen der Assimilierung mit den Slowaken, zumal sich auch ethnisch gemischte Ehen häufen, in denen das Kroatische nicht mehr weitergegeben wird /4/.

2. Naturgemäß spielt auch das Verhältnis der Obrigkeit (Staat, Kirche, Schule etc.) zu einer Minderheitensprache eine entscheidende Rolle bezüglich des Sprachverhaltens der Angehörigen einer Volksgruppe. Vereinfacht kann für das gesamte burgenlandkroatische Sprachgebiet davon ausgegangen werden, dass bis 1879 in kroatischen Mehrheitsgemeinden der Unterricht in kroatischer Sprache gehalten wurde und Deutsch bzw. Ungarisch fakultativ angeboten wurden, während in ethnisch gemischten Orten beide jeweiligen Sprachen Pflicht waren. Mit den Magyarisierungsbestrebungen ab 1879 wurde das Ungarische neben dem Kroatischen auch dort Pflicht, wo keine Ungarn lebten. Nach der Lockerung der Gesetze im Jahre 1907 wurden die Schulen offiziell zweisprachig, der Schwerpunkt lag aber noch immer auf der ungarischen Sprache /5/. Nach der Aufteilung des burgenlandkroatischen Sprachraumes auf die Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns entwickelten sich die Schulsysteme unterschiedlich weiter. Bis 1923 wurde an den Schulen von Devinsko Novo Selo, Hrvatski Grob, Hrvatski Jandrof und Čunovo in kroatischer Sprache unterrichtet. Nach dem Anschluss der Dörfer Devinsko Novo Selo und Hrvatski Grob an die Tschechoslowakei wurde hier das Slowakische (bzw. das Tschechische) offizielle Sprache. Dagegen wurden Ungarn die Siedlungen Hrvatski Jandrof und Čunovo zugeschlagen. Somit wurde dort das Ungarische alleinige Unterrichtssprache. Lediglich das Fach Religion konnte weiterhin in kroatischer Sprache gelehrt werden. Nachdem Hrvatski Jandrof und Čunovo zusammen mit Rosvar (Rusovce) und Engerau (Petržalka) im Jahre 1947 an die Tschechoslowakei abgetreten worden waren, wurde der Lehrbetrieb an den Schulen ausschließlich auf die slowakische Sprache umgestellt, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch kaum jemand Slowakisch sprach. Da es an den Schulen nun auch keinen Religionsunterricht mehr gab und das Kroatische als Unterrichtssprache verboten worden war, beschränkte sich der Gebrauch des Kroatischen auf den familiären und kirchlichen Bereich /6/. Damit hatte das Kroatische seine Funktion als administrative Sprache und als Unterrichtssprache verloren, zunehmend auch als Liturgiesprache. Als solche besteht sie bis heute in Hrvatski Jandrof und in Čunovo. Dennoch wurde auch hier das Slowakische in die Liturgie aufgenommen, so dass der Gottesdienst nun zweisprachig ist.

3. Da aufgrund des schwachen und veralteten Wortschatzes in einer zunehmend modernen Welt nicht mehr alles ausgedrückt werden kann, die Tatsache, verliert die kroatische Sprache in der Bevölkerung zunehmend an Popularität. Dagegen hat sich das Slowakische als Staatssprache weiterentwickelt und auch den technischen Neuerungen im Wortschatz angepasst, wodurch das Kroatische als Kommunikationsmittel weiter zurückgedrängt wird. Die Kroaten in der Slowakei bleiben bisher von dem Normierungsprojekt des ZIGH unberührt. Die Ergebnisse der Sprachkommission sind etwa in Hrvatski Jandrof völlig unbekannt /7/. Dies gilt auch für Čunovo, wo der Geistliche Ferdinand Takacs zu dem Schluss kommt, dass die Kroaten noch an ihrem alten burgenlandkroatischen Dialekt festhalten wollen. Sie akzeptieren weder die Normierungsversuche aus Österreich noch das Standardkroatische, mit dem sie konfrontiert werden, wenn ein Pfarrer aus Kroatien die Messe zelebriert: “Naši ljudi ne poznaju književne izraze. To je sasvim tudje za nas.” /8/. Vor diesem Hintergrund kann sich die kroatische Sprache in der Slowakei nicht mehr erneuern oder weiterentwickeln. Sie bleibt auf dem alten Stand oder wird zunehmend vom Slowakischen verdrängt.



Bis 1989 war das Kroatische in der Tschechoslowakei keine anerkannte Minderheitensprache. Diesen Status erhielt es nach den politischen Veränderungen und mit der neuen slowakischen Verfassung von 1992, aber erst mit der Unterzeichnung der Charta der Regional- und Minderheitensprachen durch die slowakische Regierung im Jänner 2001 wurden die Kroaten ausdrücklich als eine von neun Sprachminderheiten in der Slowakei anerkannt.

Eine kommunikative Funktion des Kroatischen ist in der Slowakei nur noch sehr gering vorhanden. Da bei der jungen Generation bereits die Sprachkenntnisse fehlen, oder nur noch passiv vorhanden sind, kann von einem langsamen Sterben der Sprache ausgegangen werden. Für diesen Zustand mit verantwortlich ist auch der Rückzug des Kroatischen aus der Familie /9/. Der Sprachverlust und der Assimilierungsprozess in Čunovo etwa sind unter anderem eine Folge der sozialen Mobilität und der Urbanisierung des 1972 nach Pressburg eingemeindeten Dorfes. Hier sind gar Fälle bekannt, in denen Kinder aus kroatischen Familien den Gebrauch der kroatischen Sprache verweigern /10/.

Allgemein ist festzustellen, daß kroatische Kinder in der Slowakei untereinander Slowakisch sprechen. Mit Ortsfremden kommunizieren auch die Erwachsenen grundsätzlich Slowakisch. Kroatisch wird nur dann gesprochen, wenn die Sprecher davon ausgehen können, dass sie von allen verstanden werden /11/. Die langsame sprachliche Assimilierung der Kroaten bedeutet aber keine Deethnisation oder Akkulturation /12/. Trotz des Sprachverlustes erleben die Kroaten in der Slowakei eine Revitalisierung ihrer Kultur. Es bildet sich auch ein steigendes Bewusstsein der kroatischen Ethnizität heraus. In Čunovo sprechen zwar immer weniger Kroaten ihre Muttersprache, dafür engagieren sie sich in örtlichen Kulturvereinen, Tanz-, Gesangs- und Tamburizzagruppen. In der Regel wird dort noch kroatisch kommuniziert. Im Jugendklub “Klub mladih Hrvatov” in Hrvatski Jandrof dagegen hat sich bereits das Slowakische durchgesetzt, auch wenn die dortige Zeitschrift “Magazin” noch zweisprachig erscheint.

In Hrvatski Grob stellte sich das Problem der Ethnizität bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts anders dar: Auch wenn sich die Kroaten ihrer Nationalität bewusst waren, rechneten sie sich dennoch der slowakischen Volksgruppe zu /13/. In den anderen kroatischen Orten tritt dieses Phänomen erst zu einem viel späteren Zeitpunkt ein, und zwar nach 1947. Diese Tendenz setzt sich allerdings auch gegenwärtig fort, da sich sogar bei späteren Volkszählungen nach wie vor die meisten Kroaten als Slowaken deklarieren.



Im Gegensatz zu Österreich und Ungarn fällt auch die einsprachige Beschriftung in den kroatischen Orten auf. In Devinsko Novo Selo, Hrvatski Jandrof und Čunovo besteht kein Anspruch auf zweisprachige Ortstafeln, da durch die Eingemeindung dieser drei Dörfer der prozentuale Anteil der Kroaten an der Gesamtbevölkerung Pressburgs eine solche Forderung nicht rechtfertigen würde. Alleine in Hrvatski Grob wäre eine zweisprachige Beschilderung möglich, dort mangelt es aber am Interesse der Bevölkerung /14/.



Trotz vorbildlicher Minderheitenpolitik in der Slowakei lässt sich die sprachliche Assimilierung der kroatischen Volksgruppe nicht mehr verhindern. Auch wenn nun wieder vermehrt kulturelle Veranstaltungen wie etwa das alljährlich stattfindende “Festival hrvatske kulture” in Devinsko Novo Selo aufleben, besteht doch die Gefahr, dass in naher Zukunft die kroatische Minderheit in der Slowakei ohne ihre eigene Sprache auf den Folklorebereich reduziert wird.



Literatur:



/1/ Botík, Ján 2001: Slovenskí Chorváti, Bratislava, 102

/2/ Botík, Ján 2001: Slovenskí Chorváti, Bratislava, 77

/3/ Ripka, Ivor 1996: “Reliktné chorvátske nárečia v okolí Bratislavy”, in: Ján Botík (Hg.): Chorváti na Slovensku, Bratislava, 54

/4/ Interview Pavel Haas, Hrvatski Jandrof, am 18.2.2002

/5/ Boeckmann, Klaus-Börge 1997: Zweisprachigkeit und Schulerfolg. Das Beispiel Burgenland, Frankfurt am Main, 68

/6/ Maasz, Ive 1994: “Predškolska obuka i škola u Slovačkoj”, in: Seminar o jeziku I 1994, Željezno/Eisenstadt, 19

/7/ Interview Pavel Haas, Hrvatski Jandrof, am 18.2.2002

/8/ Takacs, Ferdinand 1994: “Uloga crikve i crikvena štamapa u Slovačkoj”, in: Seminar o jeziku I 1994, Željezno/Eisenstadt, 23

/9/ Maasz, Ive 1994: “Predškolska obuka i škola u Slovačkoj”, in: Seminar o jeziku I 1994, Željezno/Eisenstadt, 20

/10/ Chlup, Ján 1985: “Zmeny etnického povedomia v prímestskej obci Bratislavy v Čunove”, in: Slovenský národopis 33, Bratislava, 227

/11/ Beňušková, Zuzana 1985: “K niektorým problémom národopisého výskumu Chorvátov na okolí Bratislavy”, in: Slovenský národopis 33, Bratislava, 217

/12/ Ripka, Ivor 1996: “Reliktné chorvátske nárečia v okolí Bratislavy”, in: Ján Botík (Hg.): Chorváti na Slovensku, Bratislava, 52

/13/ Václavík, Anton 1925: Podunajská dedina v Československu, Bratislava, 218

/14/ Interview Pavel Haas, Hrvatski Jandrof, am 18.2.2002